Im Meer der Bäume – Waldbaden Erlebnisbericht von Daniel Meuren

Erschienen in der FAZ am 09.11.2022

Im Spessart ist der Wald noch in Ordnung. Im Mischwald bei Lohr am Main bietet Markus Wuescher Waldbaden an. Die Bäume sprechen zwar nicht, aber es öffnen sich unerwartete Horizonte.

Schon das schleichende Tempo auf dem wunderschönen Waldweg ist für manchen gewöhnungsbedürftig. Markus Wuescher hat die Ruhe weg, als er die kleine Gruppe vom Parkplatz hoch über Lohr am Main in den tiefen Spessart führt. Er erzählt von der Wichtigkeit der inneren Einkehr, der Balance zwischen Alltagstrubel und Ausgleich in der Natur und vor allem von der positiven Wirkung der Grüntöne auf die Psyche.

Wuescher hat selbst sein vor einigen Jahren ins Wanken geratenes Gleichgewicht beim Waldbaden, das als Entspannungsmethode ursprünglich aus Japan kommt, wiederhergestellt. Dann hat der Wirtschaftsingenieur mit Marwoods eine Agentur für Coaching und Bewusstseinsarbeit im Herzen des Spessarts ins Leben gerufen, die gestressten Großstädtern zum inneren Ausgleich verhelfen will. Neben dem Waldbaden wird auch Yoga angeboten, meist in Kombination mit einem verlängerten Wochenende in Chalets des „Bergdorfs“ im nahen Flörsbachtal-Lohrhaupten. Auf der Website www.marwoods.de findet man die Angebote.

Bevor er seine Mitwanderer in das Bäumemeer tauchen lässt, spricht Wuescher über den Wald als solchen. Für ihn ist es kein Zufall, dass die Begriffe Waldbrand und Burnout inflationär genutzt werden. Der Wald sei auf der gesamten Welt aus unterschiedlichen Gründen in Gefahr. Und damit auch die Seele vieler Menschen.

Wenn es gelungen ist, dann bittet Wuescher darum, die Augen zu schließen und in den Wald hineinzuhorchen. Man zieht nicht direkt Wasser aus dem Boden, aber aus der Luft saugt sich das Hirn mit akustischen Eindrücken voll. Gibt es mehrdimensionales Hören? Das fein getrennte Nebeneinander von Blätterrauschen, Vogelgezwitscher und Windgeräuschen übermannt einen jedenfalls und verschafft ein Gefühl der Ruhe trotz aller Geräusche, die man wahrnimmt.

Mittlerweile ist das Schleichen Wueschers zum eigenen Rhythmus geworden, und es fühlt sich gut an. In diesem Tempo bittet Wuescher nun auch zum Umarmen. Nicht ihn, wohlgemerkt, sondern einen Baum nach Wahl. Man kann sich entscheiden zwischen den tendenziell stark bemoosten Laubbäumen und den eher krustigen Nadelbäumen im trotz aller Stürme und Borkenkäferplagen gesund wirkenden Mischwald des Spessarts.

Die Douglasie fühlt sich zunächst rau an, aber dann offenbart sie womöglich ihren weichen Kern. Die Rinde ist beim genaueren Erfühlen viel weicher und anschmiegsamer als erwartet. Nach einigen Minuten glaubt man tatsächlich, das Leben des Baums zu spüren, eine Rückumarmung freilich bleibt aus. Und gesprochen hat die Douglasie auch nicht, wie es im Titel eines von Wohllebens Bestsellern heißt. Dafür muss man vermutlich dann doch ein wenig länger baden.

In den Wald hineinhorchen

Nun aber verlässt die Gruppe den Waldweg und steht im satten Waldboden. Wuescher spricht über die Kommunikation der Bäume, die über Wurzeln und feine Fasern Informationen austauschten. Alles klingt ein wenig esoterisch und auch wie in den Büchern und Vorträgen von Peter Wohlleben, aber das muss ja nicht falsch sein. Schließlich fordert Wuescher dazu auf, selbst Wurzeln zu schlagen im Wald. Das ist nun selbstredend dann doch nur bildlich gemeint, aber es ist gar nicht so leicht, auf Anhieb einen sicheren Stand zu finden, der zugleich komfortabel ist.